Deutschlands Türken vertrauen dem Staat - Rente?
- Geschrieben von Portal Editor
Wenn es um die Altersvorsorge geht, vertrauen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund dem deutschen Staat.
Banken und Versicherungen hingegen stehen sie eher skeptisch gegenüber. Besonders gefragt sind Immobilien in Deutschland und der Türkei sowie islamkonforme Finanzanlagen.
Die Rentenlücke trifft die 2,5 Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland härter als die Gesamtbevölkerung. Sie wissen das, sorgen aber trotzdem seltener fürs Alter vor. Und wenn sie es tun, dann anders als die Deutschen. Das sind die Kernergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA), die in Kooperation mit der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) durchgeführt wurde. Dabei wurden 1.007 türkeistämmige Erwachsene befragt.
„Die finanzielle Lage der Türkischstämmigen ist äußerst angespannt", so die Autoren der DIA-Studie. 34 Prozent von ihnen leben in Armut. Bei den Menschen ohne Migrationshintergrund sind das lediglich 12 Prozent. Entsprechend weniger können die deutschen Türken auch auf die Seite legen. Die Hälfte von ihnen spart nicht (gegenüber 24 Prozent in der Gesamtbevölkerung).
Wenn sie sparen, legen sie ihr Geld überwiegend in Immobilien an (31,6 Prozent). Weit abgeschlagen folgen Sparbücher mit 9,2 Prozent (bei deutschen Haushalten 59 Prozent) und Gold mit 5 Prozent.
Über zwei Drittel der Befragten, die in eine Rentenversicherung einzahlen, gehen davon aus, dass diese nicht zur Erhaltung des Lebensstandards im Alter ausreichen wird. Damit ist das Problembewusstsein laut DIA höher als bei den Deutschen. Die Kenntnisse über alle Formen der Altersvorsorge sind jedoch geringer.
Um drohende Rentenlücken zu schließen, können sich mehr als die Hälfte der über 18-Jährigen auch einen Lebensabend in der preisgünstigeren Türkei vorstellen. Viele kaufen zu diesem Zweck Wohneigentum in der Türkei. Von den heutigen Rentnern jedoch zieht nur jeder Siebte zurück in die alte Heimat.
Schariakonforme Anlagen für 40 Prozent wichtig
70 Prozent der Studienteilnehmer bezeichneten sich als religiös. Finanzprodukte, die mit der Scharia, dem islamischen Normensystem, das religiöse, moralische und praktische Ge- und Verbote zusammenfasst, im Einklang stehen, sind für 40 Prozent der Befragten wichtig.
Starke Unterschiede zeigen sich jedoch zwischen den Geschlechtern: Anders als in der Gesamtbevölkerung beschäftigen sich Frauen mit einem türkischen Hintergrund deutlich seltener mit dem Thema Altersvorsorge als Männer, sind weniger informiert, handeln seltener und erwarten geringere Renten.
Darüber hinaus vertrauen die Türkischstämmigen dem Staat in puncto Altersvorsorge am meisten, Banken und Versicherungen am wenigsten. Staatliche Stellen sollten die Beratungsangebote zum Thema Altersvorsorge ausbauen, fordert DIA-Sprecher Bernd Katzenstein. „Produkte mit kleinen Sparraten haben dabei ganz klar Priorität, da gerade Jüngere und Frauen wenig Einkommen und damit die größten Lücken haben."
Wie die türkeistämmige Bevölkerung fürs Alter vorsorgt
Die Rentenlücke trifft die rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund inDeutschland härter als die Gesamtbevölkerung. Die Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) untersuchte im Auftrag des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA), welchen subjektiven Bedarf Türkenund Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit haben und welche Lösungsansätze sie für ihr Leben im Alter sehen. Basis der Untersuchung waren gut 1.000 Interviews mit türkeistämmigen Migranten ab 18 Jahren.
„Die finanzielle Lage der Türkeistämmigen ist äußerst angespannt“, erläuterte Dr. Dirk Halm vom ZfTI, der gemeinsam mit Dr. Martina Sauer die Studie erstellt hat, vor der Presse in Berlin.
So lag das monatliche Nettoeinkommen je Haushalt in Deutschland im Jahr 2008 in Deutschland bei 2.914 Euro. In türkeistämmigen Haushalten immerhin noch bei 2.073 Euro. Da diese Haushalte aber viel größer sind, steigt die Diskrepanz beim Pro-Kopf-Einkommen auf 545 Euro gegenüber 1.457 Euro.
Entsprechend ergeben sich starke Differenzen bei den späteren Altersrenten. Die Türkeistämmigen hoffen mehrheitlich, die Rentenlücke durch günstigere Lebenshaltungskosten in der Türkei schließen zu können. Dabei wird die angedachte Rückkehr in die Türkei von vielen aber nicht wirklich realisiert, wie Halm erläuterte. Auf die Hilfe ihrer Kinder setzen 22 Prozent.
Gegen langfristige Sparformen bestehen Vorbehalte
Nach den Umfrageergebnissen sorgen 46,9 Prozent der Befragten privat für ihre Altersvorsorge vor. Als heute bereits ausreichend abgesichert sehen sich lediglich 6,9 Prozent (Gesamtbevölkerung 35,6 Prozent). Keine Vorsorge betreiben 45,6 Prozent (Gesamtbevölkerung 35 Prozent).
Die meisten setzten auf die Immobilie (31,6 Prozent). 22 Prozent der befragten Türkeistämmigen gaben Immobilienbesitz in Deutschland an. 20 Prozent hatten Grundbesitz in der Türkei.
Gegen ein langfristiges Vorsorgesparen bestehen Vorbehalte. So nimmt das Sparbuch mit 9,2 Prozent einen deutlich höheren Stellenwert ein als etwa eine Kapitallebens-Versicherung (4,6 Prozent). Fünf Prozent vertrauen in den Werterhalt von Gold. Ein für Türken überraschend geringer Wert, wie Halm feststellte.
Die Riester-Rente fristet nur ein Schattendasein
Maßgerecht wären laut Halm Vorsorgeangebote mit kleinen Sparraten. Dies wäre mit der Riester-Rente auch möglich; allerdings wird sie in der Türkei nicht vollständig ausgezahlt. So setzten denn auch nur 17,6 Prozent der Türkischstämmigen auf ein Riester-Produkt.
Auch unter den geplanten Vorsorgeformen genießt der Immobilienerwerb den höchsten Stellenwert – sei es in derTürkei oder in Deutschland. Erst dahinter folgen die versicherungsförmigen Vorsorgelösungen private Rentenversicherung und Kapitallebens-Versicherung. Im einstelligen Prozentbereich, also in etwa auf einem Niveau mit der Vorsorge-Investition in Gold, rangiert die Riester-Rente.
Geplante Vorsorgeformen der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland (Quelle:DIA 2010)
Dies mag an den Zukunftsplanungen liegen: 39 Prozent wollen in die Türkei zurückkehren. 48 Prozent haben die Vorstellung, sie könnten zwischen der Türkei und Deutschland pendeln, was aber teuer werden dürfte. Die Realität sehe heute anders aus, sagte Halm. Von den türkeistämmigen Rentnern erhielten lediglich 15 Prozent Zahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung in ihrem Heimatland.
Passgenaue Vorsorgeprodukte wären wünschenswert
Neben Vorsorgeangeboten mit kleinen Sparraten würde es den Migranten sicherlich helfen, wenn staatliche geförderte Produkte auch im Heimatland genutzt werden und Baussparkredite auch im Ausland in Anspruch genommen werden könnten.
Die Beratungsangebote sollten transnationale Lebensentwürfe berücksichtigen, zugleich deren Realitätsgehalt aber auch überprüft werden.
Informationskampagnen müssten sich insbesondere an Frauen und Jüngere richten, bei denen die Umfrage hohe Informationsdefizite aufgedeckt habe, sagte Halm. Auch der Einsatz von türkeistämmigen Beratern könnte weiterhelfen.
Manfred Brüss
Nachträgliche Ergänzung:
Ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wies im Nachgang zu unserer Berichterstattung darauf hin, dass im Zusammenhang mit der mit der Riester-Rente verbundenen, nachgelagerten Besteuerung die staatliche Förderung (Zulagen und Steuervorteil) zurückgezahlt werden müsse, da der Rentner in der Türkei nicht mehr in Deutschland voll steuerpflichtig sei. Der auf der Pressekonferenz vermittelte Eindruck, es sei gar keine Auszahlung von Riester-Renten möglich, ist insofern irreführend. Gleichwohl ist der Abschluss einer Riester-Rente ohne jede Förderung wenig attraktiv für Türkeistämmige, die in ihre Heimat zurückkehren wollen.
Bitte lesen Sie auch:
Durch die Altstadt Avenches vom Murtensee Camping
Von Ahrweiler nach Osnabrück - Stadtbummel