Die Deutschländer von Istanbul / Lydia Leipert
- Geschrieben von Portal Editor
In der Türkei wächst die Gemeinde der Rückkehrer aus Köln oder Berlin. Dort fehlte das Heimatgefühl, hier aber auch!
ISTANBUL. "Ich bin eine preußische Türkin." Senay Azak-Matt hat sichtlich Vergnügen an ihrer Selbstdefinition. Sie sitzt mit ihrem Mann in einem Biocafé im Istanbuler Stadtteil Cihangir beim Sonntagsfrühstück. Die Sonne scheint, und nur ab und zu knattert ein Moped durch die Straße. "Preußische Türkin heißt so viel wie:
Der Kopf ist deutsch und das Herz ist türkisch", sagt die 37-Jährige und beißt in ein Stück zyprischen Käse. "Diese Kombination aus deutscher Arbeitseinstellung und türkischen Kulturkenntnissen ist hier in der Türkeigefragt." Das weiß Senay Azak-Matt aus eigener Erfahrung: Sie leitet die Repräsentanz der deutschen Aareal-Bank, die sie selbst in Istanbul aufgebaut hat.
Als Senay Azak-Matt fünf Jahre alt war, zogen ihre Eltern von dem Ort Rize am Schwarzen Meer in die Nähe von Günzburg, nach Schwaben. In Deutschland wuchs sie auf, machte Abitur und studierte Betriebswirtschaft. Jetzt ist sie zurück. Der Neubeginn ist ihr nicht leicht gefallen: "Nicht im Beruflichen, sondern eher emotional", sagt die Frau mit dem Pagenschnitt. "Es war schon seltsam für mich, aus wirtschaftlichen Gründen in das Land zurückzukehren, das meine Eltern 1976 aus wirtschaftlichen Gründen verließen."
Wenn die Ostereier fehlen
Sie ist eine von vielen gut ausgebildeten Deutschtürken, die dem Land, in dem sie groß geworden sind, den Rücken kehren. Nach einer aktuellen Studie des "futureorg Instituts für angewandte Zukunfts- und Organisationsforschung" beabsichtigen knapp 40 Prozent aller türkischstämmigen Studierenden und Akademiker, in die Türkei zu wechseln. Der wichtigste Grund dafür sei das fehlende Heimatgefühl in Deutschland.
"Immer wieder höre ich von jungen Rückkehrern, dass sie sich als Fremdkörper in Deutschland gefühlt haben", sagt Cigdem Akkaya. Sie kennt viele Deutschtürken und deren Motive zurückzukommen. Seit 2006 organisiert sie den Rückkehrerstammtisch in Istanbul. Einmal im Monat treffen sich die "Deutschländer", wie Akkaya alle nennt, die länger in Deutschland gelebt haben, "also alle mit türkischem Hintergrund, egal, ob sie in Deutschland geboren sind oder dort studiert haben", sagt Akkaya.
Sie selbst hat die Hälfte ihres Lebens in Deutschland verbracht. Als sie zurück in die Türkei kam, merkte sie, dass es keine Organisation der Deutschländer-Gemeinde gab. Zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin begann sie, Bekannte und deren Bekannte zu lockeren Treffen einzuladen. Für sie ist es ein Hobby, es passt aber auch zum Job: Gemeinsam mit ihrer Kollegin betreibt sie eine Agentur für Eventmanagement, organisiert zum Beispiel Bildungsreisen für deutsche Unternehmen in die Türkei.
"Unsere Devise ist: Wer es in Deutschland immer gehasst hat, Ostereier zu bemalen, jetzt aber um die Osterzeit nostalgische Gefühle bekommt, ist bei uns genau richtig." Das Gleiche gilt für die Vorweihnachtszeit: Letztes Jahr wurde ein kleiner Weihnachtsmarkt organisiert und der Stand-up-Comedian Kaya Yanar kam zum Adventskabarett. Überhaupt geht es viel um heimatliche Gefühle: "Oft steht jemand auf und ruft 'Ist hier noch jemand aus Köln?' und dann wird auf Deutsch und Türkisch über gemeinsame Bekannte geredet."
Der Stammtisch bietet auch eine Art erste Hilfe für die frisch Zugezogenen. "Viele kommen hierher, kennen dieTürkei nur aus Urlauben oder Familienbesuchen und sind überfordert", sagt Akkaya. "Die türkische Bürokratie ist schwer durchschaubar, auch das Gesundheitssystem ist komplett anders. Am Stammtisch gibt man sich gegenseitig Tipps und knüpft Kontakte." Denn die bringen die wenigsten mit, und ein gutes Netzwerk zu haben, ist in der Türkei noch wichtiger als in Deutschland, sagt Akkaya. Deshalb leitet sie oft Jobangebote weiter, die eigentlich an sie selbst gerichtet sind. "Oder Deutschländer schicken mir ihre Lebensläufe, und manchmal kann ich was für sie tun."
Als zweite große Motivation für den Umzug sieht Akkaya die wirtschaftliche Lage in der Türkei - "besser gesagt die wirtschaftliche Lage Istanbuls, denn die Deutschländer kommen hauptsächlich hierher und nicht in den Rest derTürkei. Hier boomt die Wirtschaft und diese Stadt ist ein verrückter und lebendiger Schmelztiegel, der gerade jungen Leuten viel bietet." Außerdem ließe sich in bestimmten Bereichen sogar deutlich besser verdienen als inDeutschland. Und wie viele Rückkehrer gibt es gerade in Istanbul? "Schwer einzuschätzen", sagt Akkaya, "aber mittlerweile sind allein 600 Deutschländer auf meinem Stammtisch-Verteiler."
Davon werden viele von ihren deutschen Firmen hierher gesandt. Aber manche wagen sich auch ohne festes Angebot in die Türkei. Obwohl sie hier die "Deutschen" sind, - wie sie in Deutschland die "Türken" waren. Das schon in Deutschland vermisste Heimatgefühl stellt sich also nicht unbedingt sofort ein. "Ich werde hier als Türkin, aber auch als Deutsche wahrgenommen, aber in meinem Fall ist das eher positiv", sagt Senay Azak-Matt, "denn meine Geschäftspartner wissen, dass ich korrekt und genau arbeite und dass sie sich auf mich verlassen können."
Der Einstieg in den türkischen Arbeitsmarkt klappt nicht immer. Senay Azak-Matt sieht als eines der größten Hindernisse die fehlenden Sprachkenntnisse. "Viele sprechen zwar türkisch auf ordentlichem Niveau, aber das reicht nicht, um hier in der Geschäftswelt durchzukommen", sagt sie. "Von den meisten Geschäftspartnern wird perfektes Business-Türkisch erwartet. Kann man das nicht bieten, ist es eigentlich besser, überhaupt kein türkisch zu sprechen, sondern englisch."
Senay Azak-Matt blieb dieses Problem erspart, da sie schon während des Studiums und in den ersten Berufsjahren immer wieder in der Türkei lebte und die Arbeitsmentalität kennenlernte: "Während man in Deutschland schnell direkt auf den Punkt kommt, muss man sich in der Türkei langsam herantasten, sich also nach Familie, sozialem Umfeld und sonstigen Dingen erkundigen", sagt Senay Azak-Matt. "Eine ganz andere Art des Verhandelns ist gefragt."
Deshalb scheitern manche Deutschtürken hier, weil sie entweder die Gepflogenheiten nicht kennen oder weil sie nicht rasch auf eine andere kulturelle Kommunikationsart umstellen können, wie Azak-Matt sagt. Sie glaubt, das Argument, hier könnten die Deutschtürken leichter Arbeit finden als in Hamburg oder Berlin, gelte nicht immer. "Hier muss man gegen die türkischen Spitzen-Absolventen konkurrieren, die mehrere Sprachen sprechen und in den USA oder anderswo studiert haben", sagt Senay Azak-Matt.
Einige werden enttäuscht, denn einen Job in einem Callcenter, in dem sie von Istanbul aus Kunden in Deutschlandbetreuen, haben sich die wenigsten vorgestellt. "Aber die meisten schaffen es und sind hier glücklich", sagt Cigdem Akkaya mit Blick auf ihre stetig wachsende Stammtisch-Kartei und die Rückkehrer-Gemeinde auf Xing, dem Online-Kontaktportal.
Beim Stammtisch hat sie noch ein sehr spezielles Problem ausgemacht: "Wir Deutschländer wollen natürlich ,alman usulü', wörtlich: nach deutscher Art, bezahlen", will heißen: jeder für sich. So schnell legt man das Deutsche an sich eben doch nicht ab.