Menemen – Stadt am Weg zwischen Izmir und Çanakkale
- Geschrieben von Portal Editor
Auf dem Weg nach Çanakkale hatten wir den uns bislang unbekannten Ort Menemen, der entlang der Hauptstraße weder besonders einladend wirkte noch sonst irgendwelche Besonderheiten vorweisen zu können schien, bereits mehrfach passiert.
Die Einladung der Töpfereivereinigung Menemen (lesen Sie auch die beiden Artikel) sollte uns jetzt die Möglichkeit bieten, dieses vielleicht vorschnelle Urteil zu revidieren. Wir sind der interessant gestalteten Stadtführung durch Herrn Ertan Saruhan also wirklich dankbar, zumal er auch Einblicke in einige der ansonsten fast verschlossenen Schätze der Stadt Menemen bieten konnte. Aber dazu später mehr.
Tour durch Menemen mit dem Töpfereiverband
Zunächst ging es durch einige engen Gassen auf eine größere Freifläche im Zentrum, die als Parkplatz genutzt wird. Wenig später passierten wir eine Türbe aus früh-osmanischer Zeit, die interessante Ornamente in der Türöffnung aufweisen konnte. Nur wenig später erreichten wir die schon beschriebene restaurierte Karawanserei, die in kleinen Schritten zum kulturellen Zentrum von Menemen erweitert werden soll. Ein sehr guter Ansatz, der auch den einsetzenden Tourismus in der Region beflügeln kann, zumal die westliche Grenze zu Izmir mit der Küste zum Golf an dem riesige Salzabbauflächen genutzt werden, nahe liegt. In diesen Abbauflächen nisten zahlreiche Vögel, darunter vor allem auch Flamingos, so dass dieses Gebiet nicht umsonst Vogelparadies (İzmir Kuş Cenneti) genannt wird. Die Stadt Menemen liegt am linken Ufer des Flusses Gediz, der in den Golf von Izmir mündet.
Georgios Pachymeres - bedeutender Bewohner Menemens
Erstmals urkundlich erwähnt wird Menemen im späten 13. oder beginnendem 14. Jahrhundert durch den Gelehrten, Dichter und Schriftsteller Georgios Pachymeres, der in seinen Aufzeichnungen davon berichtet, das die Tourkoi, die Türkvölker, in das Mainomenou kampos gezogen seien, was mit der Ebene von Menemen zu übersetzen ist. Georgios Pachymeres war 1242 in Nicaea geboren worden, wohin sein Vater im Jahr 1204, nach der Eroberung Konstantinopels, geflohen war.
Georgios Pachymeres zog 1261 nach Konstantinopel zurück, wo er zum Priester geweiht wurde. Später studierte Pachymeres dort auch Jura und lehrte parallel an der Hochschule der Hagia Sophia. Trotz seines Widerspruchs gegen die Vereinigung der katholischen und orthodoxen Kirche bewahrte er in seinen Schriften eine gewisse Neutralität, die den Disput zwischen Michael VIII. und Andronikos II. behandelten. Er betätigte sich auch in anderen Bereichen der Wissenschaft: So erstellte er eine Sammlung der Schriften des Aristoteles und brachte Handbücher über Astronomie, Mathematik und Musik heraus. Ein ebenfalls bedeutendes Kompendium war eine Zusammenstellung von dreizehn Büchern (Syngraphikai historiai), die allesamt die byzantinische Geschichte behandelten und als Fortsetzung von Georgios Akropolites anzusehen sind. Georgios Pachymeres starb 1310 in Konstantinopel.
Bis zum Bevölkerungsaustausch 1923 überwiegend von Griechen bewohnt
Das Gebiet um Menemen stand zu dieser Zeit unter saruchanidischer Herrschaft, bis es in der Regierungszeit von Sultan Murad I. (1319–1389) zum Osmanischen Reich kam. Bis zum so genannten Bevölkerungsaustausch nach den Regelungen im Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923 lebten in der Stadt Menemen mehrheitlich Griechen (4.683 Griechen, 3.606 Muslime), während im Bezirk die Muslime in der Überzahl waren (17.261 Muslime, 7.195 Griechen). Noch heute sind die Spuren der Griechen in vielen Straßen der Stadt zu erkennen. Unser Rundgang führte uns an baulichen Ruinen typisch griechischer Häuser genauso vorbei wie auch an renovierten Häusern gleichen Ursprungs. Voller Stolz wurde uns auch eine erst kürzlich restaurierte Kirche gezeigt, die kaum fertiggestellt, bereits wieder von ewig Gestrigen beschädigt worden war. Eingeworfene Fensterscheiben setzen deutlich Zeichen von Vandalismus. So erscheint auch in Menemen Toleranz, Akzeptanz und das Lernen aus den Geschehnissen der Vergangenheit längst noch nicht überall in der Bevölkerung erreicht zu sein.
Reserveoffizier Mustafa Fehmi Kubilay von Fanatikern getötet
Nur wenig später sollten wir ein Beispiel eines Geschehens von islamischen Fanatikern kennen lernen, als uns Ertan Saruhan auf eine Gedenkstätte inmitten der Stadt führte, die fast wie ein militärischer Stützpunkt von freundlich und behutsam erklärenden Soldaten behütet wird. In den Gründungsjahren der Türkischen Republik wurde der Ort Menemen plötzlich und unerwartet bekannt, als hier der türkische Lehrer und Reserveoffizier Mustafa Fehmi Kubilay von islamischen Fanatikern ermordet wurde. In der noch jungen türkischen Geschichte haftet das mit Kubilay- oder Menemen-Ereignis (türk. Kubilay Olayı) bezeichnete Ereignis noch immer tief verwurzelt im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft.
Kubilay wurde 1906 in Kozan, unweit der heutigen Grenze zu Griechenland, geboren. Seine Familie war 1902 aus Kreta eingewandert und siedelte sich später in Izmir an. Mit tatsächlichem Namen hieß er Mustafa Fehmi. Die schulische Ausbildung absolvierte er in den Jahren 1913–1919 in Aydın. Anschließend begann er eine Ausbildung zum Beruf des Schneiders und bestand während der Lehre die Aufnahmeprüfung für die Lehrerausbildung in Antalya. Die Ausbildung zum Lehrer schloss er im Jahre 1926 ab.
Während seiner Ausbildung nahm Mustafa Fehmi den Namen Kubilay an. Damit folgte er der weit verbreiteten Tradition, sich den Namen eines bekannten Türken aus vorislamischer Zeit zuzulegen. Kubilay arbeitete zunächst in Aydın als Lehrer. Später arbeitete er an der Zafer-Grundschule in Menemen.
Kubilay wurde im Jahre 1930 bei einem religiös motivierten Aufstand gegen die 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk eingeleitete Säkularisierung der Republik Türkei in Menemen angeschossen und anschließend mit einer Säge geköpft. Bei den Ereignissen kamen noch zwei weitere Personen ums Leben. Die Täter waren religiöse Fanatiker. Angeführt wurden sie von einem Derwisch namens Mehmet, der sich zuvor zum Mehdi ausgerufen hatte und angab, die Religion schützen zu wollen. Mehmet stand in Verbindung mit dem bekannten Nakşibendi-Scheich Esat Efendi aus Istanbul.
Ausnahmezustand in Menemen durch Atatürk ausgerufen
Die Regierung unter Atatürk rief den Ausnahmezustand aus und ließ mehr als 2000 Personen verhaften. Insgesamt 105 Personen wurden vor ein Militärtribunal gestellt. Das Gericht verhängte 37 Todesurteile, von denen 28 vollstreckt wurden. In laizistischen Kreisen der Türkei gilt Kubilay noch heute als Opfer von religiösem Fanatismus. Die Armee veranstaltet jährlich eine Gedenkfeier zu Ehren seines Todestages am 23. Dezember 1930 in Menemen.
Ob dieser Geschichte, die uns bislang völlig unbekannt war, gewannen wir in Schritten einen völlig neuen Eindruck dieser türkischen Stadt, die noch weitere Schätze birgt. Erst langsam setzt sich die Auffassung durch, dass die Historie durchaus Möglichkeiten zur Stadtentfaltung bietet, wenn Gebäude und Einrichtungen, Traditionen und Bräuche, Handwerkskunst und Musik die Chance zur Entfaltung erhalten.
Ein kulturelles Begegnungsfest unter Beteiligung ortsüblicher Handwerker uns unter Einbindung örtliche Künstler und Musiker könnte großen Fortschritt in der Entwicklung dieser Stadt bringen. Erste offene Ohren haben wir kennenlernen dürfen.
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