Binbir Kilise - antike Kirchenbauten

Binbir Kilise - antike Kirchenbauten

Ca. 40 km nordöstlich von Karaman steigt aus der abflusslosen, steppenartigen und teilweise versumpften anatolischen Hochebene das Vulkanmassiv des Karadag empor, das im Mahalac Dagi mit 2275 m seinen höchsten Punkt erreicht. 

Völlig abseits touristischer Routen -Gottseidank- liegt in dieser Region eine Vielzahl von byzantinischen Kirchen- und Klosterruinen, die zwischen dem 3. und 10. Jahrhundert dort errichtet worden sind.

Schon der Name Binbir Kilise, wörtlich übersetzt: tausend und eine Kirche, macht den Reisenden neugierig und in der Tat, noch ca. 50 Kirchen- und Klosterruinen liegen verstreut, teils in gutem, teils in schlechtem Zustand, zwischen den Orten Madensehir und Ückuyu und auf dem Gipfel des Kara Dag in einer faszinierenden Landschaft.

Die Gegend um den Karadag ist zwar von der byzantinischen Epoche weitgehend geprägt, doch war sie schon in hethitischer Zeit besiedelt. Hethitische Inschriften auf dem Mahalac Dagi und der Felsenthron des Königs Harpatus aus späthethitischer Zeit auf dem Kizil Dag belegen eine Besiedlung im 9. Jahrh. v. Chr. Scherben aus spätminoischer Zeit wurden in der Oberstadt von Madensehir gefunden und Felsgräber und Sarkophage schließlich sind Zeugnisse aus der römischen Siedlungsphase.
Der Weg führt von Karaman in Richtung Kilbasan. 9 km hinter Kilbasan biegt die Straße bei dem Ort Dinek nach links ab zum Großdorf Madensehir, dem Hauptort der ehemals blühenden byzantinischen Klostergemeinden, die in ihrem Charakter mit der Klosterrepublik Athos in Griechenland verglichen worden ist.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind viele der Kirchen in einem guten Erhaltungszustand gewesen, wie dies die englischen Reisenden Ramsay und Bell in den Jahren 1906 bis 1908 ausführlich beschrieben haben.

Barata, das heute Madensehir heißt, war bis in das 10. Jahrhundert eine bedeutende byzantinische Siedlung mit eigenem Bischofssitz. Aufgrund der zunehmend unsicher werdenden Lage im byzantinischen Grenzgebiet wurde die Gegend verlassen und die Baulichkeiten im 11. Jahrhundert von den vorrückenden Seldschuken weitgehend zerstört. Nach einer langen Periode des Zerfalls wurde das Gebiet von turkmenischen Nomaden besiedelt, die noch heute dort wohnen und das Baumaterial für ihre Häuser den alten Kirchenbauten entnommen haben. Heute sieht man ein buntes Nebeneinander von Ruinen und Bauernhäusern, was den Dörfern einen eigenartigen Charakter verleiht, den man sonst in Anatolien nicht findet.  

In Madensehir finden sich die beeindruckenden baulichen Überreste. Gleich am Ortseingang liegt in einem Feld die Ruine einer großen Basilika, wahrscheinlich die Hauptkirche der alten Stadt. Die Basilika, von der noch das Seitenschiff, die Apsis und Teile des Eingangsbereichs erhalten sind, stammt aus dem 10. / 11. jahrhundert und erinnert in Einzelheiten an den Einfluss der armenischen Kunst. Der gewaltige, dreischiffige Bau war etwa 70m lang. Die Seitenschiffe waren vom Hauptschiff durch zehn Arkadenbögen getrennt, die von Doppelsäulen getragen wurden. Die Bauweise verdient besondere Beachtung. Sie unterscheidet sich von denen anderer Kirchenbauten inAnatolien durch ihre massive Steinbauweise. Große Quaderblöcke und aus Stein gefügte und gewölbte Dachkonstruktionen geben dieser Kirche ein besonderes Aussehen, zeugen aber auch von der Tatsache, dass schon zu dieser Zeit in Anatolien der Holzvorrat zu Ende gegangen ist.

Folgt man dem Weg zum Nordende des Dorfes, trifft man auf einen freistehenden apsisähnlichen Bau, eine Exedra, deren Funktion bisher ungeklärt ist. Teil eines größeren Baus oder als „Zeltdach“ für Zeremonien im Freien? Viele Bauten, so auch eine achteckige Kirche, als Martyriumskirche bezeichnet, sind nur noch in den Grundrissen zu erkennen. Auf dem Rückweg zur asphaltierten Straße findet man überall Sarkophage aus der römischen Nekropole. 

Fährt man auf der Straße weiter, dann erreicht man nach ca. 7 km den heute weitgehend verfallenen, früheren Hauptort der byzantinischen Zeit, Degile, heute Ückuyu, der von halbsesshaften Nomaden bewohnt wird, die die Besucher freundlich empfangen und in den Ruinen herum führen. Ein Schotterweg führt von der Hauptstrecke nach rechts, zwischen aus dem Felsen gehauenen Sarkophagen in das Zentrum des Dorfes, zur Eingangsfront einer Kirchenruine, die von drei nebeneinander liegenden Bögen durchbrochen wird. Vieles ist auch hier nicht mehr vorhanden. Heute werden die Gewölbe der Kirchenruine als Ziegenställe und Vorratskammern genutzt, was einen sehr malerischen Eindruck hinterlässt. Gegenüber der Basilika liegt ein etwas unübersichtlicher Komplex mit einem Bogen, auf dem noch Reste einer hohen Mauer zu sehen sind. Im Osten steigt das Gelände an. Dort liegt ein weiterer Klosterkomplex mit Basilika, deren Apsis mit den typischen Zwillingsfenstern noch erhalten ist. Die wohl am besten erhaltene Kirchenruine des Dorfes liegt auf einem Hügel südwestlich der Straße. Die Basilika stammt aus dem  10. Jahrhundert und ist in eine römische Nekropole eingebaut worden. In den Felsen geschlagene Grabkammern und Sarkophage zeugen von der früheren Nutzung. Von dem byzantinischen Bau sind noch der Eingang zum Narthex mit einem Malteserkreuz, die nördliche Bogenreihe des Hauptschiffs und des angrenzenden Seitenschiffs sowie Teile der Apsis erhalten.

Von Ückuyu führt der Fahrweg in Serpentinen hinauf zum Kraterrand des Kara Dag. In dieser Region sind die Hänge des Vulkans kultiviert und bewaldet und vermitteln einen kleinen Eindruck davon, wie dieses Gebiet wohl früher einmal ausgesehen haben mag. Die reiche Vegetation fällt vor allem deshalb so wohltuend ins Auge, weil die umgebende Hochebene nahezu baumlos, weitgehend versteppt und zum Teil von versalzten Sümpfen durchzogen ist. Vom Kraterrand hat man einen grandiosen Blick über den trockenen Kratergrund mit den zerklüfteten Rändern hinauf zum Hauptgipfel des Kara Dag, den Mahalac Dagi, über die zahlreichen Bienenkörbe auf dem Grund des Kraters und hin zu den grasenden Wildpferden. Der Weg wird nun sehr beschwerlich und fast nur noch mit geländegängigem Wagen möglich. Es gibt aber eine neue asphaltierte Straße hinauf zum Mahalac Dagi und zur Fernsehstation, die 4 km hinter Kilbasan in Richtung Dinek nach links abzweigt. 

Vom Sattel unterhalb der Station führt ein Trampelpfad in knapp 45 min. auf den Gipfel. Nicht nur der großartige Rundblick entschädigt für die kleine Mühe, auch die byzantinischen Klosterbauten aus der Mitte des 6. Jahrhunderts sind noch ansehnlich erhalten. In der Bezeichnung  „Mahalac“  ist der Name des Erzengels Michael erhalten, dem das Kloster geweiht war. Die Klosterruine ist eine kreuzförmige Kirchenanlage mit einer Kapelle im östlichen Teil, die als Grabkammer genutzt wurde. Ein 40m langer überdachter Gang verband die beiden Gebäude miteinander. Teils überwachsen, teils zugeschüttet erkennt man Türlaibungen mit gewaltigen Türstürzen, die mit Malteserkreuzen geschmückt sind. Guterhaltene Bögen unterschiedlicher Größe lassen die bedeutenden Ausmaße dieses Bauwerks erahnen.

Schon in hethitischer Zeit war der Gipfel des  Kara Dag ein besonderer Platz. Eine Inschrift in hethitischen Hieroglyphen, die den Namen des Königs Harpatus nennt, ist unterhalb der Kirche, in die Nordseite des Hügels, eingemeißelt. Eine längere Inschrift auf der gegenüberliegenden Seite war dem Wettergott Tarhu gewidmet.

Ein weiteres Zeugnis aus hethitischer Zeit findet man auf dem Gipfel des Kizil Dag, einem isoliert stehenden Vulkankegel mit einer Trachytspitze, aus der der Thron des Harpatus herausgemeißelt wurde. In den Felsen ist die Gestalt eines sitzenden Königs eingeritzt; eine Reliefinschrift weist ihn als Großkönig aus. Der Kopf wird im Profil gezeigt, das Auge en face, wie in der hethitischen Kunst üblich. Assyrische Einflüsse lassen sich bei der Barttracht und der Darstellung des Haupthaars erkennen. Aufgrund der stilistischen Merkmale dürfte der Thron nicht vor der Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. entstanden sein.

Der Weg dorthin ist nicht ganz leicht zu finden. Man biegt am Ortseingang von Kilbasan nach links ab und fährt auf einer Schotterstraße in Richtung Demiryurt. Von dort führt eine Asphaltstraße über Süleymanhaci nach Adakale, wo am Ortseingang ein Feldweg zur Nordflanke es Kizil Dag nach links abzweigt. Nach 300m hält man sich bei einer Gabelung links, nachdem man ein Gelände mit Kiesgruben umfahren hat. Man folgt dem Feldweg bis zum Fuß des Vulkans. Der Aufstieg dauert ca. 30 Min. und ist etwas mühsam, da es keinen Weg gibt. Vom Thron des Harpatus hat man einen großartigen Ausblick auf die Hochfläche mit den zum Teil versalzten Hotamis-Sümpfen und auf das Massiv des Kara Dag.

Ein Ausflug in das Gebiet der Binbir Kilise bedarf einiger Vorbereitungen, da es keine Möglichkeiten gibt, sich unterwegs zu versorgen. Ausreichend Getränke und vor allem gutes Schuhwerk sind unabdingbare Voraussetzungen für ein Gelingen des Besuchs in dieser großartigen und spannenden Region.

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