Györ – Die Archäologische Bedeutung Arrabonas
- Geschrieben von Portal Editor
Im Gebiet um Győr, einst das römische Militärlager Arrabona, und entlang der mittleren Donau ließen sich schon früh Siedlungsspuren der unterschiedlichsten Kulturen nachweisen.
Eine erste größere keltische Siedlung auf dem Káptalan-Hügel entstand im 5. Jahrhundert v. Chr. Aktivitäten römischer Händler sind in Arrabona erstmals für das 1. Jahrhundert v. Chr. nachweisbar. Um 10 v. Chr. besetzten die Römer auch den nördlichen Teil des heutigen Westungarns und gliederten es in ihren expandierenden Machtbereich ein. Nach Niederschlagung des großen pannonisch-dalmatischen Aufstandes im Jahre 9 n. Chr. wurde die Provinz Illyricum geteilt. Sein nördlicher Teil fiel dabei der neu eingerichteten Provinz Pannonien zu.
In der Antike befand sich auf dem Gebiet der Stadt Győr die römische Siedlung Arrabona. Das Kastell war eine der frühesten römischen Befestigungen am pannonischen Limes, Stützpunkt der Hilfstruppenkavallerie (Auxiliar) und neben Kastell Klosterneuburg das zweite Auxiliarlager in Oberpannonien mit einer 1000 Mann starken Besatzung. Es war vermutlich vom 1. bis in das 4. Jahrhundert n. Chr. kontinuierlich mit römischen Truppen belegt. In der Spätantike lagen im Kastell auch Marinesoldaten der in Vindobona und Carnuntum stationierten Legionen. Das Fundmaterial aus dem Kastell und seiner Umgebung zeugt von einer nachmilitärischen Nutzung durch die Zivilbevölkerung ab dem 5. nachchristlichen Jahrhundert. Die Funde der Gräberfelder vermittelten einen guten Eindruck vom Niedergang der römischen Kultur und dem zunehmenden Aufkommen barbarischer Elemente in einem Limeskastell zur Zeit der Völkerwanderung.
Strategische Bedeutung Arrabonas für Rom
Arrabona liegt im westlichen Pannonien, der Kleinen Ungarischen Tiefebene. Dort münden die Raab und die Rabnitz in die Mosoni Duna, einen rechtsseitigen Seitenarm des Donau Hauptstromes. Östlich der heutigen Stadt Győr verengt sich die Tiefebene zu einem schmalen Streifen, bei Almásneszmély reichen die Höhenzüge bis ans Donauufer heran. Aufgrund dieser topographischen Gegebenheiten war dort nur eine weniger stark befestigte Verteidigungslinie zur Sicherung der römischen Reichsgrenze notwendig. Kastelle standen dort meist nur an der Mündung von Bächen und an der Stelle, wo sich der südliche Nebenarm wieder mit dem Hauptstrom der Donau vereinigte. Das Lager selbst befand sich auf einer vor Hochwasser sicheren Erhebung an der Mündung der Raab in die Mosoner Donau, heute als Káptalan-Hügel bekannt. Auf ihm wurde im Mittelalter über der Kastellruine eine neue Befestigung, die Püspökvár (Bischofsburg) errichtet. Der Ort zählte verwaltungsrechtlich zunächst zur Provinz Pannonia Superior und ab der Reichsreform des Diokletian zur neu gegründeten Pannonia Prima.
Die Besatzung sicherte einen stark frequentierten Flussübergang an der Limesstraße (via iuxta Danuvium), am Abschnitt zwischen Carnuntum und dem Legionslager Brigetio und den Endpunkt einer wichtigen Diagonalstraße, die die Donau mit den Städten Savaria (Szombathely), Mursella, Sopianae (Pécs) und Tricciana weit im Inneren der Provinz verband. Dort existierte bis ins Mittelalter eine Fährverbindung zwischen dem Ort Vének und dem Südufer der Donau.
Archäologen und Forscher auf dem Káptalan-Hügel
Der Standort des römischen Lagers auf dem Káptalan-Hügel ist seit dem frühen 20. Jahrhundert bekannt. 1954 stieß László Barkóczi bei Sondierungen im Innenhof des Museums auf eine römische Straße, vermutlich eine der Ausfallstraßen des Kastells. Erste genauere Erkenntnisse über das Kastell wurden durch Grabungen im Jahre 1956 (u. a. Klärung der Stratigraphie) erzielt. Zwischen 1968 und 1970 wurde ein kleiner Teil des Vicusareals am Széchenyi-Platz systematisch durch Dénes Gabler, Eszter Szönyi und Peter Tomka bis in eine Tiefe von drei bis fünfeinhalb Metern erkundet. Aufgrund dieser Ergebnisse konnte eine Chronologie der Siedlungsabfolge erstellt werden. 1998 bis 1999 konnten Ezter Szöny und Peter Tomka weitere 200 Quadratmeter des Platzes untersuchen. 2008 bis 2009 ermöglichte die Neugestaltung des Platzes und die Sanierung des sogenannten Lloyd-Gebäudes an seiner Ostseite einige Notgrabungen, bei denen aber auf Grund der Bauvorgaben nicht sehr tief in die archäologische Schichtenfolge eingedrungen werden konnte. Römerzeitliche Funde wurden bei diesen Grabungen daher vor allem im Keller des Lloyd-Gebäudes gemacht. Aber auch auf der Westseite des Platzes kamen einige antike Befunde ans Tageslicht. Die Anzahl der wissenschaftlich dokumentierten Bestattungen auf dem Gräberfeld des 5. Jahrhunderts konnte auf 70 erhöht werden.
Ein kleiner Teil der spätantiken Südmauer des Kastells wurde im Bischofspark konserviert und im Rahmen eines archäologischen Schaugeländes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Transdanubische „Barbarenvölker“ dringen vor
Den Keramikfunden nach zu urteilen, errichteten die Römer ab dem ersten Viertel des 1. Jahrhunderts entlang des gesamten südlichen Donauufers die ersten Armeestützpunkte in unterschiedlicher Größe. Das frühe Holz-Erde-Kastell von Arrabona zählt zu diesen militärischen Anlagen und entstand wohl um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. als Teil eines neuen Konzeptes zur flächendeckenden Überwachung der neuen Reichsgrenze. Zu diesem Zweck löste Kaiser Vespasian die letzten Militärlager im Inneren Pannoniens auf und verlegte deren Besatzungen in die neuen Kastelle an der Donau. Damit waren gleichzeitig auch die Voraussetzungen für die Entstehung des oberpannonischen Limes geschaffen worden. In dieser Zeit avancierte das Kastell laut einer Inschrift zur Residenz eines praefectus ripae Danuuii et civitatum duarum Boiorum et Azaliorum. Im frühen 2. Jahrhundert wurde das Holz-Erde-Kastell von der ala I contarorium milliaria abgetragen und in Steinbauweise neu errichtet. Es war nach dem Kastell in Klosterneuburg das zweite Hilfstruppenlager der Pannonia superior, in das eine Besatzung von über 1000 Mann gelegt wurde; solche Einheiten stellten waren für ihren jeweiligen Befehlshaber ein bedeutendes Kampf- und Machtpotential. 166 bis 167 n. Chr. setzten Markomannen und Quaden erneut über die Donau und brandschatzten die pannonischen Gebiete. Der Angriff konnte zwar unter anderem mit Hilfe der Kavallerietruppe aus Arrabona abgewehrt werden, diese Kampfhandlungen waren jedoch nur ein erster Vorgeschmack für kommende, noch viel verheerendere Einfälle der transdanubischen Barbarenvölker.
In der Regierungszeit von Konstantin I. wurde das Lager verkleinert, dafür aber wesentlich stärker befestigt. Rom konnte seine Herrschaft über die Region noch bis in das späte 4. Jahrhundert aufrechterhalten. Das reguläre römische Militär zog schließlich – vermutlich in den Jahren um 380 – endgültig aus Arrabona ab, worauf sich das Kastell in ein ziviles Oppidum wandelte, in dem hauptsächlich die Bewohner des Kastellvicus und des Umlandes vor den Wirren der Völkerwanderung Schutz fanden. Die letzten römischen Münzfunde im Kastell stammen aus der Zeit des Valentinian I. und seines Bruders und Regenten des Ostens, Valens. Mit der vertraglichen Übergabe Pannoniens an die Hunnen zwischen 406 und 433 n. Chr. lösten sich auch die römischen Verwaltungsstrukturen in Oberpannonien auf. Trotz ständiger Bedrohung durch neu einwandernde Stämme aus dem Osten blieb das Kastell aber durchgehend bewohnt.
Um 500 wanderten Slawen und Langobarden in die Region ein. Ab 547 oder 568 beherrschten die Awaren bis ca. 800 das Gebiet um Arrabona. Später geriet es unter fränkischen und vor allem slawischen Einfluss. Zwischen 880 und 894 war der Ort ein Teil des Großmährischen Reiches und fiel dann für kurze Zeit wieder unter ostfränkische Dominanz. Um 900 besetzten die Magyaren Arrabona und bezogen die Mauern des konstantinischen Kastells in die Stadtbefestigung ein. Stephan I., der Begründer des Königreichs Ungarn, erhob die aufstrebende Stadt zum Bischofssitz. Sie ist seither unter ihrem ungarischen Namen Győr bekannt.
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