Gotteslästerung - Fazıl Say wegen Twitter Tweet verurteilt!
- Geschrieben von Portal Editor
Die erneute Klage gegen den Pianisten Fazıl Say wegen angeblich religionsfeindlicher Äußerungen steht schon eine Weile im Raum, jetzt fällte das 19. Istanbuler Friedensgericht ein Urteil: zehn Monate Haft auf Bewährung.
Fazıl Say war zuvor bereits zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er sich über den Ruf eines Muezzins amüsierte, der es mit seinem Gebetsruf sehr eilig hatte - der Mann habe wohl zur Freundin oder zur Schnapsflasche zurückkehren wollen, kommentierte Say seiner Zeit. Doch dieses Urteil wurde im April aufgehoben, weil die Bedingungen für die Bewährung zu unklar waren. Der Kläger, Ali Emre Bukağılı, hatte Fazil Say verklagt. Bukağılı schrieb auf Twitter: „Die werden wieder von der Meinungsfreiheit reden. Dabei zählt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Beleidigungen nicht unter die Meinungsfreiheit.“ Dabei bleibt allerdings offen, um welcher Art Beleidigungen es sich denn handeln soll.
Die Anklage jetzt war aufgrund angeblich "blasphemischer Äußerungen" des türkischen Pianisten Fazıl Say via einiger Tweets im Internet erfolgt, die aber tatsächlich nur Zitate des persischen Dichters und Mathematikers Omar Khayyam aus dem 11. Jahrhundert waren, der kritische Rückfragen zur Auslegung des Islam äußerte:
- „Du sagst, durch die Bäche wird Wein fließen, ist das Paradies etwa eine Schänke?"
- "Ich werde jedem Gläubigen zwei Jungfrauen geben, sagst du, ist das Paradies etwa ein Freudenhaus?”
Im Urteil heißt es, Say habe „die religiösen Gefühle eines Teiles der Bevölkerung öffentlich herabgewürdigt“. Bleibt er in den zwei Jahren straffrei, wird die Haftstrafe aufgehoben. Say kündigt an, das er in Berufung vor den Kassationshof gehen wird, welcher in der Türkei die zweite und höchste Instanz ist.
„Sollte ich nicht freigesprochen werden, werden wir vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen“, so Say. Vor allen den Medien wirft Say Beeinflussungen und Manipulation vor. Sein spezieller Fall sei in der Öffentlichkeit vollkommen falsch dargestellt worden. „Niemand muss ein und denselben Glauben teilen“, so Say, "meine Tweets stellen keine Verleumdung dar". Und weiter:
„Schaut, meine Freunde, die westlichen Länder, die asiatischen Länder, Ihr könnt Euch sicher sein, ausnahmslos alle werden sich von dieser Haltung distanzieren, sie werden diese Intoleranz verurteilen. Mein Fall ist klein, aber erregt viel Aufmerksamkeit. Es geht noch weiter: Die Intoleranz und Härte bei den Gezi-Protesten, die inhaftierten Journalisten, die grundlosen Festnahmen, das alles zusammen, die ganzen ungerechten Dinge, die in der Türkeipassieren, haben internationale Aufmerksamkeit erregt.
Einem Land, das sogar Witze über das Paradies und die Hölle bestraft, wird man natürlich nicht die Olympischen Spiele geben, auch viele andere Dinge wird die Türkei so nicht bekommen. Versteht das bitte.“
Anklage wegen Blasphemie auch gegen „Ekşi Sözlük“
Auch gegen den Betreiber der der Online-Plattform „Eksi Sözlük“ sowie 39 weiteren Personen ist von der Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Blasphemieverdachts eröffnet worden. Ihnen wird zur Last gelegt, die religiösen Gefühle von Gläubigen öffentlich zu verletzen und die Religion zu verunglimpfen.
„Die Angeklagten haben mit ihren Beiträgen in dem Forum keinen Beitrag zur öffentlichen Diskussion geleistet (…) Sie haben in unzulässiger Weise die Gefühle aller Anhänger der drei Weltreligionen auf der Welt verletzt, indem sie Begriffe wie Gott, Prophet, Himmel und Hölle kränkend benutzt haben“, sagte Staatsanwalt Orhan İlbeyli laut Cafe Siyaset, einer anderen Online-Plattform. Die Staatsanwaltschaft sieht ein Strafmaß zwischen neun und zwölf Monaten vor, so wird die türkische Zeitung Radikal zitiert.
Die Istanbuler Staatsanwaltschaft bezieht sich auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das muss sie zwar nicht, erweckt dadurch aber den Eindruck, das sie sich an demokratischen Standards orientiert.
Ein türkischer User hatte über den Propheten den folgenden Satz gepostet: „Der Verfasser eines Buchs, welches eine lange Blutspur vorweisen kann.“
Der einschlägige Paragraph 216 des Strafgesetzbuches stellt die Verunglimpfung aufgrund der Religion unter Strafe, wenn dadurch die öffentliche Ordnung bedroht wird. Inwieweit die öffentliche Ordnung durch eine Äußerung bedroht ist, liegt im Ermessen der Gerichte.
Freie Meinungsäußerung ist weiterhin ein begrenztes Gut.
Als es im Juni die herabwertenden Äußerungen zu schwangeren Frauen, die sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen sollten, von Ömer Tuğrul İnançers gab, die gar vom Obersten Rat für Hörfunk und Fernsehen in der Türkei (RTÜK) für einwandfrei befunden wurden, kam es zu keinerlei Einwänden von Seiten der Staatsanwaltschaft oder von Klagen aus der Bevölkerung.
In der Türkei haben Prozesse gegen kritische Meinungsäußerung eine lange Tradition. Während der Alleinherrschaft der Kemalisten verfolgte der Arm der Justiz vorrangig Kritiker des „Türkentums“. Beleidigungen gegen die türkische Republik oder gar gegen Landesvater Mustafa Kemal Atatürk wurden vehement verfolgt, insbesondere im kurdischen oder armenischen Kontext. Zwar mag sich dieser Umstand hier und da gerade im Bezug auf die Kurdenfrage ein wenig gelockert haben, aber der Fokus scheint lediglich umgeschwenkt, schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg in einer Analyse. Nach wie vor herrscht Zensur über Regierungsentscheidungen oder Kritik an der Führungselite. Neu hinzugekommen ist offenbar die Zensur über Religionskritik, wie aktuell das Beispiel von Fazıl Say deutlich macht. Freie Meinungsäußerung ist weiterhin ein begrenztes Gut.
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