Mucem - Filigranes Gitterwerk aus Ultra-Hochleistungsbeton
- Geschrieben von Portal Editor
Nach unserem Erkundungsgang in der Festung Saint-Jean lag es auf der Hand, auch die zweite Brücke hinüber zum Mucem zu überqueren, denn zu anziehend wirkte allein die Fassadengestaltung bereits auf uns.
Auch wenn wir heute das Museum selbst nicht besuchen wollten, war bereits klar, dass zumindest die Gebäudearchitektur und die umlaufenden Gänge des Gebäudes erkundet werden sollte, denn zwischen Rampe und Außenhülle sind zweiseitig schmale, fünfgeschossige Riegelbauten angeordnet. Sie nehmen Büro- und Verwaltungsräume sowie einen Shop auf. Statt von einem Betongitter sind ihre Fassaden komplett verglast. In den zwei Untergeschossen befinden sich unter anderem Lager und Archive, Technikräume sowie ein doppelgeschossiges Auditorium mit 325 Sitzplätzen. Sowohl der innere Quader als auch die beiden Verwaltungsriegel wurden in Skelettbauweise errichtet. Die notwendige Aussteifung erfolgt über mittig im Ausstellungsbereich platzierte Wandscheiben, hinter denen sich Treppen, Aufzüge und die Sanitäranlagen befinden. Aber von Anfang an.
Marseille – Europäische Kulturhauptstadt
Im südfranzösischen Marseille hat die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt eine Menge baulicher Veränderungen mit sich gebracht. Vor allem im Alten Hafen, dem kulturellen und touristischen Zentrum der Stadt, ist viel passiert. Neben der Erweiterung der Fußgängerzone und dem Abriss alter, ziemlich verwahrloster Bootshäuser entstanden hier unter anderem der verspiegelte Pavillon von Foster + Partners und die Villa Méditerranée vom Mailänder Studio Stefano Boeri. Direkt daneben markiert ein quaderförmiger Bau mit netzartiger Betonhülle die äußerste Spitze des Hafenareals. Hier handelt es sich um das oben bereits erwähnte Mucem (Musée des civilisations de l´Europe et de la Méditerranée), geplant vom französischen Architekten Rudy Ricciotti aus Bandol, das am 7. Juni 2013 anlässlich der Ernennung Marseilles als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2013 eröffnet wurde.
Das Museum wurde für 190 Millionen Euro vom französischen Architekten Rudy Ricciotti errichtet. Mucem ist an der Esplanade du J4 gelegen, einer künstlichen Halbinsel am Ausläufer des Alten Hafens. Neben dem Mucem steht die Villa Méditerranée. Der Museumsbau ist kubisch angelegt und verglast. Zwei zum Hafenwasser ausgerichtete Seiten sind mit einer netzartigen Betonkonstruktion versehen.
3.600 Quadratmeter Ausstellungsfläche
Auf einer quadratischen Grundfläche von 72 x 72 Metern erhebt sich das Gebäude 19 Meter in die Höhe. Nach dem Haus-im-Haus-Prinzip konzipiert, verbirgt es unter seiner äußeren Hülle einen weiteren Quader mit Kantenlängen von 52 Metern und einer Höhe von 18 Metern. Auf zwei von insgesamt fünf Geschossen (Erd- und zweites Obergeschoss) sind die bis zu neun Meter hohen Ausstellungsräume angeordnet. Sie sind bis zu neun Meter hoch und bieten auf rund 3.600 Quadratmetern viel Platz für die Ausstellung, in der sich alles um die Geschichte und Tradition der Mittelmeerländer dreht. Die Erschließung erfolgt über Rampen, die zwischen den beiden Außenhüllen ringförmig den Baukörper umschließen. Der museale Rundgang endet auf der Dachterrasse, wo die Besucher ein besonderes Highlight erwartet: ein 115 Meter langer, freitragender Steg, der das Museum mit dem gegenüberliegenden Fort Saint-Jean aus dem 12. Jahrhundert verbindet.
Bis auf die zwei verglasten Fassaden der Verwaltungstrakte ist das Museum einschließlich eines Großteils der Dachfläche von einer gitterartigen Betonkonstruktion umhüllt, die an die Netze der heimischen Fischer erinnern soll. Dieses Gitter besteht aus insgesamt 384 Betonpaneelen, die mit einer jeweiligen Größe von 3,00 x 6,00 Metern wie ein gigantisches Puzzle zusammengesetzt worden sind. Die nur zehn Zentimeter starken Paneele bestehen aus Ultra-Hochleistungsbeton (UHPC), einem extrem widerstandsfähigen und belastbaren Material, dessen Druckfestigkeit sechs- bis achtmal höher ist als bei herkömmlichem Beton. Zudem ist er luft- und wasserdicht sowie langfristig resistent gegenüber chemischen Einflüssen. Die Körnung des Betons beträgt zwischen 0,1 und 0,4 Millimeter (Siliziumstaub), als Bewehrung dient gehobelter und geraspelter Federstahl mit einer Spanlänge von 30 bis 60 Millimetern. Die Gitterplatten sind Fuge auf Fuge übereinandergesetzt, die Lastabtragung erfolgt über punktuelle Kontakte.
Edelstahlstäbe sorgen für die statische Sicherheit
Befestigt und auf Position gehalten wird das Gitterwerk über unzählige Edelstahlstäbe, die wie die Rampen zwischen den beiden Quadern angeordnet sind. Die Stahlstäbe sind mit schlanken Betonstützen in Form eines baumartigen Gerüsts verbunden, welches dem Skelettbau vorgelagert ist. Wie die Gebäudehülle besteht es aus Ultra-Hochleistungsbeton, ebenso der 115 Meter lange Steg (B300). Dieser wurde aus fünf Einzelteilen zu einer freitragenden Konstruktion zusammengesetzt. Für die 23 Meter langen Deckenplatten in den großen Ausstellungsräumen wurde ein ebenfalls sehr druckfester C70-Beton verwendet. Sie wurden in einem Vorspannverfahren im Werk hergestellt und vor Ort zusammengesetzt.
Das Museum wurde am 4. Juni 2013 durch den Staatspräsidenten François Hollande eröffnet und am 7. Juni der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Dauerausstellung, Galerie de la Méditerranée, zeigt den Übergang zum Ackerbau, die Erfindung der Religionen sowie die Geburt des aufgeklärten Bürgers.
Daneben fanden sich die beiden Sonderausstellungen Le Noir et Le Bleu (Das Schwarze und das Blaue) und Au Bazar du Genre (Auf dem Bazar des Geschlechtes). Sie stellten die Geschichte des Mittelmeerraums in Hinblick auf den Kontrast zwischen europäischem und afrikanischem Leben sowie die Rolle von Frauen und Sexualität in der Region dar.
Begeisternde Architektur und Gestaltung
Auch wir nutzen den Außenrundgang zwischen dem Gebäude und dem Betonnetz um einmal mehr den Blick auf den Hafen und die jetzt gegenüber liegende Festung Fort Saint-Jean zu werfen. Eine imposante Freifläche auf dem Dach hat es uns besonders angetan, zumal das filigrane Gitterwerk für ausreichend Schatten sorgt und die gr0ßen Öffnung immer für eine sanfte Brise vom Meer.
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