Ergenekon – Mythos, Wahrheit oder bloße Panikmache?
Gerade in den letzten Jahren ist der Begriff Ergenekon meist einhergehend mit einer Welle von Verhaftungen von Politikern, Journalisten oder Anwälten und Offizieren und Prozessen gegen Personen des öffentlichen Lebens immer wieder in den täglichen Pressemeldungen zu lesen; in den Fernsehnachrichten wird gar von Verschwörungstheorien und Staatsattacken gesprochen.
Selbst in der europäischen Presse werden viele Vorgänge um Ergenekon Aktivitäten in Reihen der Migranten als rechtslastige, Integrationshemmende Organisationsformen, die teilweise von Organen des Verfassungsschutzes beobachtet werden, beschrieben.
Immer noch gibt es in der Türkei sowie auch in den Ländern mit großem Anteil ursprünglich türkischer Gastarbeiter und Migranten eine starke rechtslastige Bewegung, die in den Legenden der Ergenekonsaga die Grundpfeiler ihrer rechten Ideologien sehen und sie auch nach außen hin so vertreten. Die Zwischenzeitig schon in Vergessenheit geratenen Legenden um Ergenekon werden wieder verstärkt als Gleichnis aus der Vergangenheit zur modernen Entwicklungsstufe der Türkei, weltpolitisch gesehen, herangezogen. Mit dem Auseinanderbrechen des antiken Reiches und der Flucht der Göktürken in der Spätantike, bzw. im Mittelalter in das Tal Ergenekon wird oftmals der Zusammenbruch des Osmanischen Großreichs und das Entstehen der jungen Republik Türkei vergleichend herangezogen und, was liegt näher, von den Anhängern rechter Gesinnung werden die Gründe und Ursachen des Zusammenbruchs im Ausland bzw. bei den nichttürkischen Völkern gesehen.
Flucht der Göktürken in das Tal Ergenekon
Allein der Blick in die Geschichte zeigt eindeutig wie „weltfremd“ diese Sichtweise grundsätzlich ist, denn gerade unter den Göktürken war es üblich, sich mit nicht türkischen Volksstämmen zu mischen um Zuwachs in der Stammeszugehörigkeit und Loyalität gegenüber dem Stammesfürsten im Weltbild des Reiternomadenvolkes zu festigen. In vielen Köpfen war die Flucht der Göktürken in das Tal Ergenekon gleichbedeutend mit dem Einzug in ein „Paradies“ das der Stärkung und Wiederbelebung des eigenen Volks als Vorbereitung und Regeneration zu neuer Macht im politischen Kreis der Völker dienen sollte. War es bei den Göktürken die freiwillige Isolation in dem allseits umschlossenen Bergtal Ergenekon, so war es vergleichend die politische Isolation der jungen türkischen Republik in ihrer Gründungsphase in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Ziel der freiwilligen Isolation sowie auch der politischen Zurückhaltung war sowohl in der fernen Vergangenheit als auch im letzten Jahrhundert die Gewinnung von neuer Kraft und Energie zum Aufblühen eines neuen Großtürkischen Imperiums das alle türkischen Stämme in Zentralasien mit einschließen sollte. So zumindest der Wunschtraum der rechten, nationalistischen türkischen Kräfte in der Welt. Die Graue Wölfin Asena und das Ergenekon sind dazu die beliebten Motive, die wieder in den rechten, nationalistischen Strömungen herangezogen werden, sogar in der Kunst und in der Musik Einzug halten konnten. In Ansätzen taucht dieses Gedankengut auch in Kemalistischen Kreisen immer wieder mit dem Ziel auf, eine Vereinigung aller türkischen Volksgruppen zu erreichen. So ist das erklärte Ziel der Grauen Wölfe die Gründung einer Nation aller Turkvölker, das vom Balkan über Zentralasien bis in das autonome chinesische Gebiet Xinjiang reicht. Im Zentrum dieses mit Panturkismus bezeichneten Prozesses soll nach ihren Vorstellungen eine starke, unabhängige und selbstbewusste Türkeistehen.
Gerade in der aus der Geschichte entlehnten Schuldzuweisung auf andere liegt allerdings eines der Probleme der modernen türkischen Bevölkerung wozu die noch immer teilweise mangelhafte Ausbildung und Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte stark beiträgt.
Attentat auf türkisch-kurdische Jurastudentin Seyran Ateş
Als im Jahr 1981 Mehmet Ali Ağca das Attentat auf Papst Johannes Paul II beging, gab es eine Chance, sich mit der Geschichte auseinander zu setzen, denn dieser war Mitglied der Grauen Wölfe. Auch in Europa gab es Attentate und Aktionen, die auf das immens vorhandene rechte türkische Gewaltpotential hindeuteten, hier sei nur das Attentat auf die damals noch wenig bekannte türkisch-kurdische Jurastudentin Seyran Ateş angesprochen, das im Frauenladen TIO 1984 in Berlin-Kreuzberg durchgeführt später zu heftigen politischen Diskussionen führte, wobei die heute bekannte Autorin vieler Bücher Lebensgefährlich verletzt wurde.
Heute ist Ergenekon der Namensgeber im Sprachgebrauch, um auf ein Netzwerk im Untergrund zu verweisen, das einen Umsturz der zur Zeit regierenden Partei vorbereitet haben soll. Zahllos war die Nummer von verhafteten Journalisten und Offizieren, die an dem geplanten Komplott beteiligt gewesen sein sollen. Gerichtsprozesse laufen.
Bitte lesen Sie auch:
Skopje - Rundgang durch die Hauptstadt Mazedoniens
Kaschubische Schweiz und die Volksgruppe Kaschuben