Tempus Fugit - Zeit Fliegt - Werner Koschan

Tempus fugit / Werner Koschan

Eilen und hasten - so bringt man es weit
Schuften und Schaffen - besiegen die Zeit
Geld verändert den Lauf der Welt
Das nennt man Erfolg - denn Zeit ist Geld

Tempus fugit

Die Zeit machte für einen winzigen Augenblick Pause - ein gewaltiger Urknall störte die Stille - und die unvorstellbare Weite des Weltalls entstand.

Planeten, Sterne, Sternschnuppen, Monde und Asteroiden suchten ihren Platz im Weltall. Sie waren in der Lage, miteinander in Verbindung zu treten, und Sonnensysteme formierten sich nach logischen Gesichtspunkten.
Manche Planeten, Sterne und Asteroiden, von physikalischen, chemischen und sonstigen Zwängen unbeeindruckt, weigerten sich in geordneten Systemen zu verweilen und sausten weiterhin mit gewaltigen Geschwindigkeiten durch das, was heute auf der Erde als das Nichts bezeichnet wird - pekuniär gesehen, denn Geld ist in der unendlichen Weite des Alls nicht vorgesehen.

Einer dieser nicht zu bändigenden Planeten - geben wir ihm aus Gründen der besseren Verständlichkeit den Namen Omen - sauste während vieler ungezählter Jahrmillionen durch immer neue Sonnensysteme und lernte die unterschiedlichsten Entwicklungen der verschiedensten Sterne kennen. Einige Planeten interessierten ihn besonders, denn sie entwickelten sich anders als die Masse der Himmelskörper.
Sehr gerne wählte Omen jene intergalaktische Route - eine weitläufige Ellipse, die ihn am unteren Scheitelpunkt der Flugbahn alle paar tausend Jahre in die Nähe eines äußerst interessanten Planeten führte. Nun hat für Planeten im Weltall der Begriff Nähe einen relativen Charakter. Was sind schon Kilometer oder Lichtjahre?!
Der für Omen so interessante Planet leuchtete in seltenen und angenehmen Farben, die für das Universum nicht alltäglich waren.

Viele Besuche lang dauerte es, bis Omen mit diesem jungen Stern endlich in Kontakt treten konnte - allerdings stets nur für sehr kurze Zeit, denn schnell führte die Ellipse der Flugbahn Omen wieder von dem sich gleichmäßig in angemessenem Abstand um eine jener unzähligen Sonnen drehenden Sternchen fort. Für abermals viele Jahrtausende.

Omen war stets gespannt, wie sich der „hübsche Planet“ wohl bis zum nächsten Treffen verändert haben würde.

Während seiner zeitlosen Reisen entdeckte Omen tief in den Weiten des Alls einen weiteren Planeten, der ähnlich interessant zu werden schien, wie jener am Scheitelpunkt der Ellipse, der bisher Omens Interesse am meisten geweckt hatte.
»Oj. Oj!« freute sich Omen und beschloß, beide Himmelskörper aufmerksam zu beobachten und miteinander zu vergleichen.
Mit einem gewagten Bogen schwenkte Omen bald wieder auf die Flugellipse zur Milchstraße ein. Schon von weitem leuchtete der für Omen so interessante Planet in strahlendem Blau und suchte unvermittelt seinerseits Kontakt zu Omen.
»Stell dir nur vor Omen,« sendete der Blaue aufgeregt. »Ich habe eine Hülle aus schützendem Gas um mich bilden können - und Wasser. Die Sonne brutzelt schon längst nicht mehr so heiß auf meiner Kruste. Und die ersten Verbindungen von Kohlenwasserstoffen haben sich gebildet.«
Omen sauste bereits wieder auf der Ellipse aus der Nähe die Kontakt ermöglichte, und konnte lediglich noch ein undeutliches: »Prima!« absetzen.

Da Zeit für die Gestirne von unwesentlicher Bedeutung ist, vergingen die folgenden Zeitabschnitte für Omen mit Vergleichen seiner beiden Studienobjekte beinahe wie im Flug.

Omen richtete seine Flüge nun so ein, daß er jeweils am Scheitelpunkt seiner Flugbahn auf der einen Seite den blauen Planeten besuchen konnte und auf der anderen den sich immer noch in konvulsisch zuckenden Eruptionen verändernden roten Planeten, mit dem leider noch kein Kontakt möglich war. Da der rote sich aber ähnlich wie der weit entfernte blaue Planet zu entwickeln schien, blieb die Kontaktaufnahme lediglich eine Frage der Zeit(!).

Vielleicht war Omen aber auch schon ein wenig vernarrt in diesen strahlend blauen Tausendsassa aus Schönheit, Hoffnung und Zukunft, denn er kam ihm farbiger, glänzender und schöner vor.
»Hallo, Blauer. Gibt’s was Neues?«
»Massig, Omen. Ich habe schon riesig tiefe Meere. Hohe Gebirge, Eis und Wüsten. Luft, Flora und Fauna, und Möglichkeiten. Was sagst du nun?« Deutlich konnte Omen den Stolz des blauen Planeten heraushören.
»Alle Achtung“, meinte Omen ehrlich beeindruckt.
Der Blaue schien mit jedem Besuch sogar noch wesentlich interessanter zu sein als der Rote wie Omen es sich seit Urzeiten schon ausgemalt hatte. Die Kontaktzeit reichte gerade noch für ein »Masseltov. Bis später.«

Im kurzen Verlauf dieses Später, das erst nach erneut sehr langer Zeit der Ellipsenreise für Omen - der Rote zuckte immer noch sehr heftig - und sein gemächlich rotierendes blaues Studienobjekt in der Milchstraße stattfand, erfuhr Omen, daß auf der Oberfläche des Blauen mittlerweile viele verschiedene Lebewesen existierten. Von zappeligem Schleim im Wasser der Meere, bis zu recht großen Kreaturen, die trotz ihrer schweren Masse dampfenden Fleisches zu kontrollierten Bewegungen in der Lage waren, und unzähligen Nuancen der Evolution dazwischen.
Der blaue Planet glich einer Königin im Weltall. Omen bildete sich sogar nicht wenig darauf ein, dies von Anfang an gewußt zu haben und sauste wieder davon.

Der Rote kühlte endlich ab und kam ein wenig zur Ruhe. Aber trotzdem war noch immer kein Kontakt mit ihm möglich. Omen konnte es demnach kaum erwarten, den bezaubernden blauen Planeten bald wiederzusehen und mogelte ein wenig bei seiner Reiseplanung, um ein paar tausend Jahre bis zum nächsten Kontakt mit ihm einzusparen.
Der blaue Planet war bereits frühzeitig für Omen zu erahnen. Die Königin des Weltalls wirkte aber schon von weitem nicht mehr so strahlend schön, wie Omen sie in Erinnerung und erwartet hatte.
Die Schutzhülle wirkte schmutzig-grau - der blaue Planet als Ganzes sehr krank.
»Heilige Unendlichkeit«, lautete die erste Nachricht, die Omen schon aus der Tiefe des Alls zu dem blauen Planeten sandte.
Müde und schwach nahm der Blaue Kontakt mit dem befreundeten Besucher auf. »Da bist du ja wieder.«
Der Blaue zitterte. Dann schüttelte er sich, daß die Kontinente auf seiner Kruste bebten und die Meere immer häufiger über die Küsten schwappten.
Omen sauste unbeirrt näher.
»Was um Himmels willen ist denn mit dir geschehen?« fragte der erschreckte Reisende in der Unendlichkeit.
»Ich habe mir was Gefährliches eingefangen«, antwortete der blaue Planet. »Eine schreckliche und eklige Krankheit macht mir zu schaffen.«
Omen schaute den bisher so beneideten Planetenfreund fassungslos von jenen Seiten an, die er während des Vorbeifluges ins Blickfeld bekam. Die Zeit des Kontaktes näherte sich bereits wieder dem Ende.
»Oj, welche Seuche hat dich erwischt, mein blauer Freund?« fragte Omen mitfühlend und ein wenig bitter.
Der blaue Planet hustete und bebte erneut.

»Menschen!«

Omen wandte sich aufmunternd und mit größter Energie die schnell wachsende Entfernung überbrückend an die angeschlagene blaue Königin der Milchstraße und seines Herzens.
»Gib nicht auf - das wirst du bestimmt überwinden. Bis bald.«

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