Die großen Kämpfer von Selcuk
Jedes Jahr finden Mitte Januar in Selcuk die Meisterschaften im Kamelkampf statt.
Zwei Tage lang versetzt dieses Fest, bei dem die besten männlichen Kamele um Ehrungen, Preisgelder und Trophäen ringen, die Stadt in einen fröhlichen, karnevalsartigen Taumel. Der Kamelkampf, auf türkisch deve güresi, ist der beliebteste "Sport" an der südlichen Ägäisküste der Türkei.
Er hat sich aus den Brunftkämpfen der männlichen Kamele entwickelt. Wüstenschiffe: Vor der Ära der Autos, Busse, Eisenbahnen und Düsenjets waren Kamele das Haupttransportmittel im osmanischen Reich und im ganzen Nahen Osten. Kamelkarawanen brachten Menschen und Waren durch Steppen und Wüsten von einer Stadt zur anderen. Da es extreme Temperaturen ertragen und Durst und Hunger lange überstehen kann, nannte man das sanft schwingend dahinwandernde Tier liebevoll das "Wüstenschiff".
Nur die Yörük, ein Nomadenvolk, das in den Hochebenen an der Küste lebt, benutzen heute noch Kamele als Transportmittel, und hin und wieder stößt der Reisende in diesem Gebiet auf solche Yörük-Kamelkarawanen. Anders als in den Staaten des Nahen Ostens, wie beispielsweise Saudiarabien, Kuwait oder Jemen, wo Kamelrennen eine beliebte Freizeitbeschäftigung sind, lässt man auf den Dörfern in der Türkei die Kamele nicht um die Wette laufen. Hier werden die starken Hengste auf Kamelkämpfe vorbereitet.
Wochenendwettkämpfe: In den kleinen Städten der Provinzen Izmir, Aydin, Denizli und Mugla finden von Januar bis März an jedem Wochenende solche Kamelkämpfe statt. Tausende von Bauern fahren dann in die Stadt, um auf ihr Lieblingskamel zu wetten und ganz nebenbei ihre Produkte zu verkaufen oder Teppiche und andere Kunstgegenstände auszustellen. Bis zu dreißigmal kämpfen männliche Kamele im Winter, der Zeit, in der die weiblichen Tiere in der Hitze sind. Den Rest des Jahres ruhen sie sich dann bei viel Futter und guter Behandlung aus.
Die Haltung eines solchen Tieres ist sehr teuer, aber sein Besitz kann dem Bauern viel Ehre einbringen - vergleichbar dem Prestige, das ein junger Türke in der Stadt durch einen blitzenden, neuen Sportwagen gewinnt.
Nicht alle Kamele eignen sich als Kampftiere
"Große Kämpfer werden geboren, nicht gemacht", meint Hulusi Kanat, der seit 30 Jahren Kampfkamele züchtet und hauptberuflich Kamelkämpfe veranstaltet. Die besten Kamele haben eine iranische Kamelstute zur Mutter, behauptet er.
Im Alter von sechs Jahren beginnen die Hengste zu kämpfen, aber sie werden kaum vor ihrem 15. Lebensjahr zu Champions. Mancher steigt noch mit 25 in den Ring. Die Bulldogge: Die 250 besten Kampfkamele der Türkeiheißen tülüs. Sie bringen ihrem Besitzer bei jedem Kampf hohe Summen und viele Wettgeldern. Mit seinem Gewicht von über einer Tonne, einer Schulterhöhe von zwei Metern und einer Höckerhöhe von zwei Metern dreißig ist so ein tülü ein eindrucksvoller Anblick. Diese tülüs sind berühmt wie Superstars, und sie tragen schreckenerregende Namen wie Bulldogge, Mörder, Schläger, Deli Tülü (Verrücktes Kamel), der Krieger, das Kommando, der Eroberer, Kara Kemal "der Schwarze", Felek (Schicksal) und Schwefel.
Die Spitzenkamele kämpfen einmal jährlich in Selcuk, zwei Stunden von Izmir entfernt, und dabei nehmen oft mehr als 120 Tiere teil. Vor Beginn der Veranstaltung wird die Hauptstraße nach Bodrum für mehr als eine Stunde vollständig gesperrt, damit die Besitzer ihre Kamele feierlich in die Stadt führen können. Die Tiere sind mit farbenfrohen Decken, Quasten, goldenen Löckchen und Schmuckstücken herausgeputzt und tragen zudem noch große Kuhglocken, mit denen sie lärmend durch Selcuk ziehen. Die Hengste,die während der Brunftzeit oft Schaum auf den Lippen haben, tragen einen Maulkorb, zum Schutz eifersüchtiger Rivalen oder menschlicher Bewunderer vor Bissen.
Nach der Eröffnungszeremonie, auf der der Provinzgouverneur, der Bürgermeister und einige um Wähler bemühte Politiker Reden halten, marschieren die Kamele in die antike Stadt Ephesus. Gladiatorenkämpfe: Die Kämpfe finden in den Ruinen eines römischen Stadions statt. Das ist der Grund, weshalb ein Schriftsteller einmal die Kamele mit den " Gladiatoren der Antike" verglichen hat. Tausende von Zuschauern, darunter auch viele Frauen, füllen das Stadion bis auf den letzten Platz. Sie sitzen auf den steinernen Stufen, um zwischen Trommeln, Pfeifen und Folklorevorführungen die Kämpfe zu verfolgen. Während der achtstündigen Veranstaltung verkaufen fliegende Händler Popcorn, Kartoffelchips, Nüsse und simit, eine türkische Süßigkeit aus Sesam. Zwei schnaubende, bellende Kamelhengste werden an die beiden äußeren Enden der Arena geführt. Dann stolziert eine Stute zwischen den beiden Rivalen herum, und wenn Erregung und Zorn genügend angeheizt sind, kann der Kampf beginnen. Plötzlich stürzen sich die beiden Tiere aufeinander, und jeder Hengst versucht, den Gegner mit seinem schweren Körper umzustoßen. Oft verkeilen sich dabei ihre Hälse oder Beine gefährlich ineinander. Jeder Kampf dauert etwa zehn Minuten, dann ziehen zwei Mannschaften mit je neun Männern, die rote oder blaue Lederschutzkleidung tragen, die Tiere wie beim Tauziehen mit Seilen auseinander. Keins wird ernsthaft verletzt, sie tragen höchstens ein paar Kratzer oder eine blutige Nase davon.Am spannendsten sind die Kämpfe zwischen den schwersten der Kamelhengste. Sieg: Um zu gewinnen, muss ein Hengst den Gegner auf seiner Seite zu Boden werfen, ihn aus dem Stadion jagen oder ihn zu einem Schrei veranlassen, der anzeigt, dass er aufgibt. Sonst endet der Wettstreit unentschieden.Zu den Wett- und Peisgeldern erhält der Besitzer eines siegreichen Kamels noch eine Trophäe, eine Plakette und einen besonderen handgeknüpften Teppich.