Marseille – Einwanderung, Kriminalität und Tourismus
- Geschrieben von Portal Editor
In unserem Artikel zum „Vieille Charité – Armenhaus wandelt sich zum Museum“ hatten wir die Themen Armut, Kriminalität und Obdachlosigkeit bereits anklingen lassen, die bis heute ein offensichtliches Problem für die Stadt Marseille darstellt, auch wenn man als touristischer Gast nicht wirklich etwas davon verspürt.
Denn: Marseille hat einen schlechten Ruf. Auch wenn die Stadt 2013 Europäische Kulturhauptstadt war, was viele Verbesserungen mit sich brachte – noch immer gilt Marseille als gefährlichste Stadt des Landes: Kriminalität, Drogen, Gewalt und Viertel, die man besser nicht betreten sollte.
Wie Eingangs schon erwähnt bekommt man als Tourist insbesondere von der Bandenkriminalität im Norden Marseilles kaum etwas mit. Einzig: Gleich bei der Ankunft wird man von mehreren Seiten vor Taschendieben gewarnt, etwa vom Sicherheitsbeamten am Flugplatz, am Bus oder in der Metro. Auffällig natürlich die zahlreichen Kameras überall. Das allerdings ist in zahlreichen Großstädten auch nicht anders.
Einwanderer und Armut aus den Maghreb-Staaten im Stadtbild
Seit den 1950er Jahren ist Marseille durch Einwanderung aus dem Maghreb geprägt; die Eingewanderten waren überwiegend arm, arbeitslos oder fanden nur Arbeit in der „informellen“ Wirtschaft, die auch Schattenwirtschaft genannt wird. Als informelle Wirtschaft wird jener Teil einer Volkswirtschaft bezeichnet, dessen wirtschaftliche Tätigkeiten nicht in der offiziellen Statistik erfasst sind.
Als Maghreb wird die historische Region im Nordwesten Afrikas am Mittelmeer bezeichnet, mit den heutigen Staaten von Tunesien, Algerien, Marokko und Westsahara, die aufgrund ihrer Geographie und Geschichte viele Gemeinsamkeiten mit Frankreich haben. Auch Libyen und Mauretanien werden mitunter dazu gezählt. In diesen Ländern gehören die Herstellung und der Verkauf von Produkten auf lokalen Märkten und einfache Dienstleistungen zum Leben dazu. Durch den informellen Sektor erhöht sich das BIP eines Landes nur indirekt, da sich durch die Wertschöpfung in diesem Bereich Umsatzsteigerungen im formellen Sektor ergeben können.
Die Arbeitsbeziehungen in der Schattenwirtschaft unterscheiden sich also grundlegend von denen des formellen Sektors:
- kaum oder keine Trennung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital: Selbständigkeit und cuenta propia (Arbeiten auf eigene Rechnung) sind verbreitet.
- keine eigene Rechtspersönlichkeit des Unternehmens; Eigentümer sind private Haushalte oder Privatpersonen
- Keine Formalisierung der Arbeitsverhältnisse: Arbeitsverträge werden meist mündlich und nur für extrem kurze Dauer geschlossen.
- Entzug staatlicher Kontrolle: Arbeitsschutzgesetze, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz oder Mindestlöhne finden mangels Arbeitsverträgen keine Anwendung.
- Sozialversicherung wie Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- oder Unfallversicherung gibt es kaum.
- Statistisch lassen sich informelle Arbeitsverhältnisse sowohl in ihrer Stückzahl, als auch in ihren Einkünften kaum erfassen.
- niedrige Organisationsebene und kleine Produktionseinheiten, Beschäftigung von Familienmitgliedern
Kein Wunder also: Marseille gilt allein aufgrund der Arbeitssituation als gefährlich
Besonders in den nördlich gelegenen Wohnvierteln spielt Drogenkriminalität eine große Rolle. Der Drogenhandel sichert nicht selten das Einkommen ganzer Familien. Der Zusammenhalt innerhalb und zwischen den Einwanderergruppen ist brüchiger geworden, es mangelt an einer sozialen Struktur, was Kriminalität begünstigt.
Ab 2007 wurden 350 Stellen bei der Polizei gestrichen. Von 2012 bis 2019 stieg dann die Anzahl von Polizisten von 220 auf 450. Seit 2018 wurde zudem mit dem Aufbau eines Videoüberwachungssystems begonnen.
Die städtische Polizei überwacht inzwischen mit rund 1.600 Videokameras (Stand ca. 2021) insbesondere öffentliche Plätze in der Innenstadt rund um die Uhr.
Vernachlässigter Wohnraum – auch ein Grund
Am 5. November 2018 stürzten zwei baufällige Wohnhäuser an der Rue d’Aubagne im zentralen Quartier Noailles ein, acht Personen kamen dabei ums Leben. Dies machte ein seit längerem bestehendes Problem einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. Die in der Folge verstärkten Kontrollen und Meldungen führten zur Evakuierung von 370 Gebäuden, 3000 Menschen waren davon betroffen.
In einem Bericht des „staatlichen Hohen Ausschusses für die Unterbringung benachteiligter Personen“ (Haut Comité pour le Logement des Personnes Défavorisées) zur Wohnungskrise in Marseille vom Dezember 2019 steht:
« Malgré des alertes données de toute part depuis de nombreuses années, les acteurs publics n’ont jamais mis en œuvre une politique permettant de traiter les 40 000 logements indignes et d’assurer le droit au logement des 100 000 personnes y habitant. »
„Trotz der von allen Seiten seit Jahren geäußerten Warnungen verfolgten die politischen Akteure nie eine Politik, die es erlaubt hätte, die 40 000 unwürdigen Wohnungen zu behandeln und das Recht auf Wohnung der 100 000 Personen zu gewährleisten, die in ihnen wohnen.“
Weitere Eskalationen in den Randgebieten
2024 kam es weiterhin zu Auseinandersetzungen zwischen Drogenbanden. Auch die Drogenfahnder kamen in Verdacht. Aus den Überseegebieten kommen immer mehr Rauschmittel nach Frankreich.
Der Senat schlug Alarm und will die Täter „am Geldbeutel treffen“. Nachdem der Drogenkrieg 2024 bereits mehr als 40 Todesopfer gefordert hatte, hat Innenminister Darmanin der Drogenmafia den Kampf angesagt. (Im September 2024 wurde Bruno Retailleau sein Nachfolger).
Aufsehen erregende Morde zeugten im Oktober 2024 vom erbarmungslosen Kleinkrieg der Drogendealer. Sie rekrutieren Kinder für ihre Geschäfte; dabei werden Opfer und Täter immer jünger.
Fassen wir zusammen:
Marseille hat, wie fast jede europäische Großstadt mit rivalisierenden Banden und Gruppen aus den verschiedensten Bereichen zu kämpfen, gleich ob nun aus der Drogenmafia oder dem politischen Extremismus (wie leider gerade erst in Amsterdam deutlich wurde, als so genannte Fußballfans laut krakeelend durch die Stadt zogen worauf hin sich Palästinenser gut vorbereitet genötigt sahen diese Gruppen zu verfolgen und zu verprügeln. Das Eine so verwerflich und dumm wie das Andere. Oder ist das Krakeelen israelischer Parolen nicht als Provokation zu verstehen? Was also haben die Fußballfans erwartet? Beifall? Gleiches gilt natürlich auch für die Palästinenser und ihre Anhänger. Leben wollen in einer Demokratie heißt immer auch gewaltfrei! Kann man das nicht begreifen? Was ist so schwer daran?).
Immer mehr ist der Rechtsruck in unseren Demokratien zumindest nachvollziehbar, wenn auch durchschaubar zur Schaffung neuer Eliten und Führer, durch deren Gehabe leider unser aller Freiheiten zunehmend eingeschränkt werden.
Als Gast in einem Land habe ich mich den Gepflogenheiten dieses Gastlandes anzupassen, nicht umgekehrt! Das sollte für jeden zivilisierten Menschen gelten!
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